ÉVéNEMENTS

November 2015: Aachen für Fortgeschrittene: DAAD Alumni France auf Pilgerfahrt ins Dreiländereck

Vom 16. bis 18. November reisten 20 Mitglieder des Alumnivereins nach Aachen. Die Städtetour begann am Freitag mit der Besichtigung der RWTH und Gesprächen mit Hochschulvertretern, darunter der Aachener Rektor Prof. Dr. Ernst Schmachtenberg. Am Samstag stand Karl der Große im Mittelpunkt des Interesses, und am Sonntag führte ein Ausflug nach Eupen, Hauptstadt der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, und nach Monschau in der Eifel.

Vom Super C bis zum Karlsschrein, vom Krönungssaal bis zum Puppenbrunnen, vom Dom bis zum Oxyfuel-Brenner, von der Printe bis zum Sauerbraten: wer die Stadt Aachen besucht, findet Spannendes und Faszinierendes in jeder Hinsicht, sei es Technik, sei es Geschichte oder schlicht Lebensart im Dreiländereck. Nicht anders erging es den Mitgliedern des Vereins DAAD Alumni France, die sich als Ziel ihrer diesjährigen Studienreise die Karlsstadt ausgewählt hatten. „Aix-la-Chapelle“, wie es die Franzosen nennen, ist sowohl als Wirkungsort Karls des Großen bekannt wie auch als Sitz einer der renommiertesten Technik-Universitäten Deutschlands: der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule, unter dem Kürzel RWTH Aachen international bekannt und geschätzt.

Die Aachener Alma Mater bildete das erste Ziel der Reisegruppe, und es traf sich gut, dass man mit Georg Dietze, dem Vizepräsidenten des Vereins, einen Absolventen der RWTH in seinen Reihen hatte. Der führte die Gruppe zunächst ins Super C, zentrale Anlaufstelle für Studenten. Seinen Namen erhält es von seiner Form, die ein überdimensionales „C“ bildet, allerdings nur, wenn man einen unterirdischen Teil hinzudenkt. Dank Dietzes Kontakten erhielten die Teilnehmer interessante Einblicke in die Forschungslandschaft der RWTH. Zwar werden dort auch geisteswissenschaftliche Inhalte vermittelt, doch liegt der Schwerpunkt eindeutig auf den Ingenieurwissenschaften. Intensive Kontakte zur Industrie, von manchem auch kritisch gesehen, spielen eine wichtige Rolle. Die Zahl von rund 330 Millionen Drittmitteln im Jahr 2014 macht das deutlich.

Noch deutlicher traten die Beziehungen zwischen Forschung und Industrie beim Besuch des E.ON Energy Research Centers zutage. Das wurde 2006 als Stiftung gegründet und vom Energiekonzern E.ON mit einem Kapital von 42 Millionen Euro ausgestattet, das Bund und Land NRW um weitere 40 Millionen aufstockten. Ziel war es, „die Potenziale der Energieeinsparung, Energieeffizienz und nachhaltigen Energieversorgung zu erforschen“, wie es auf der Website heißt. Im Gründungsjahr waren diese Ziele noch wenig praxisrelevant, erläuterte Professor Dirk Müller, Leiter des « Instituts für Energieeffiziente Gebäude und Raumklima“, kurz EBC. Doch nach der Energiewende in Deutschland übernahmen die Forscher am EBC wie auch an den übrigen vier Instituten des Research Centers rasch die Rolle von Vordenkern, die den Klimawandel mit praxisnahen Lösungen begleiten. Netz- und Speichertechnik, dezentrale Energieversorgung, Geothermie, Automatisierung von Stromnetzen und anderes mehr sind hier die Themen. Die Stadt der Zukunft wird ohne Ideen aus diesem Research-Center wohl kaum zu gestalten sein. Eine zentrale Botschaft gab Professor Müller seinen Zuhörern mit: Der Verzicht auf fossile Energien werde auf jeden Fall den Verbraucher mit höheren Kosten belasten.

Einblicke in konkrete Forschungsaktivitäten vermittelte ein Besuch des „Lehrstuhls für Wärme- und Stoffübertragung“, dessen Leiter Professor Reinhold Kneer die Gruppe in Empfang nahm und sodann unter Mitwirkung seiner Mitarbeiter in zwei Gruppen durch die Labore führte. Dort wird zum Beispiel das Kühlungsverhalten von Wasserstrahlen unter die Lupe genommen oder im Oxyfuel-Verfahren untersucht, wie man bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern weitgehend reines Kohlendoxid gewinnen kann, das sich lagern lässt und damit seine klimaschädliche Wirkung nicht entfaltet. Diese und ähnliche Forschungsaktivitäten machen die RWTH ausgesprochen attraktiv, und so verwies Rektor Ernst Schmachtenberg in seinem Grußwort nicht ohne Stolz auf die beachtliche Zahl von 44.000 Studenten, die die Universität im laufenden Semester betreuen muss. Angesprochen wurde auch die geplante Einstellung des Fachs Romanistik. Gründe sind rückläufige Studentenzahlen, aber auch eine stärkere Profilbildung der RWTH als technischer Hochschule.

Ein kleiner Stadtrundgang bildete den Auftakt des folgenden Tages, der ganz im Zeichen der Stadtgeschichte stand. Martin Frank, Mathematikprofessor an der RWTH und Vertreter des DAAD-Freundeskreises in Aachen, führte die Gruppe zunächst durch das Marschiertor, eines der vier Haupttore der mittelalterlichen Stadtmauer. Im Jahre 1300 fertiggestellt, wird es heute von der Karnevalsgesellschaft „Oecher Penn“ genutzt. Schwefliger Geruch wenige Minuten später kündigte den von Friedrich Schinkel entworfenen Elisenbrunnen an, aus dem das 52 Grad heiße Thermalwasser der Kaiserquelle fließt. Damit war die Gruppe am stadtgeschichtlichen Ursprung angelangt: Heiße Quellen in dieser Gegend veranlassten schon die Römer, hier eine kleine Siedlung zu errichten. Thermalwasser speist auch den sogenannten „Geldbrunnen“ am Ende des Elisengartens. Hier wird in amüsanter Weise der Kreislauf des Geldes in einen Figurenreigen übersetzt. Schmunzeln musste man auch in der Klappergasse. Die erinnert an die Legende, nach der bei der Einweihung des Aachener Doms von 365 eingeladenen Bischöfen zwei fehlten. Der himmlische Vater wies daraufhin kurzerhand die in Maastricht begrabenen Bischöfe Mundolph und Gundolph an, aus ihren Gräbern zu steigen, um die Festgesellschaft zu komplettieren. Das Klappern ihrer Gebeine auf dem Weg zum Dom gab der Gasse ihren Namen.

Drei sehr informative Führungen schlossen den Vormittag ab. Die erste führte in das gotische Rathaus, das 1350 fertiggestellt wurde. Es steht auf den Grundmauern eines Vorgängerbaus, der „Aula regia“, die zur karolingischen Kaiserpfalz gehörte. Im Inneren zeigte sich die Gruppe beeindruckt vom Krönungssaal, der, anders als sein Name vermuten lässt, nicht Schauplatz von Krönungszeremonien war, sondern zum Festbankett nach einer Krönung lud. Denn zwischen 936 und 1531 wurden im Aachener Dom 30 deutsche Könige gekrönt. Seit 1950 schaut die politische Welt, zumindest in Europa, wieder auf ein bedeutendes Geschehen im Krönungssaal. Mit dem Karlspreis werden hier Persönlichkeiten geehrt, die sich um die europäische Einigung verdient gemacht haben. Preisträger waren unter anderem Robert Schuman, Konrad Adenauer, Bill Clinton, Angela Merkel. Preisträger 2015 war Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments. Nicht minder prächtig erschien der Ratssaal, in dem unter anderen Porträts von Napoleon I. und seiner Frau Josephine hängen.

Die zweite Besichtigungstour führte zu den Preziosen in der Domschatzkammer. Hier bestaunte man den aus römischer Zeit stammenden Sarkophag, in dem Karl der Große bestattet worden ist, sein Leichentuch aus Byzanz, von dem ein Teil sich im Louvre befindet, kostbare Reliquiare und schließlich das Lotharkreuz, das eine mit Edelsteinen übersäte Kaiserseite und eine schlichte Christusseite aufweist. Mit einer Versicherungssumme von 20 Millionen Euro ist es das wertvollste Stück der Sammlung.

Mit der dritten Tour erkundete die Gruppe den Dom, zunächst das Oktogon, den um 800 fertiggestellten Zentralbau. Wandmosaike, Marmorfußboden sowie die Marmorverkleidungen an den Säulen sind allerdings Zutaten aus dem 19. Jahrhundert. Aus dem 12. Jahrhundert hingegen stammt der imposante Barbarossaleuchter. Noch älter ist der berühmte Karlsthron auf der Empore, den Karl der Große 796 aufstellen ließ. Überraschend wirkt die Schlichtheit des Throns, der aus glatten Marmorplatten zusammengebaut ist. Sie sollen aus der Grabeskirche in Jerusalem stammen, was allerdings von manchem Forscher bezweifelt wird. Ebenso umstritten ist die These, Karl habe von diesem Thron aus den Messen beigewohnt. Plausibler ist wohl die Theorie vom „leeren Thron“. Danach handelt es sich um einen bewusst leer bleibenden Thron als Symbol für das Warten auf die Wiederkunft Jesu. Erst Otto I. wurde hier inthronisiert (nach Salbung und Krönung am Hauptaltar) und nach ihm bis 1531 alle deutschen Könige. Damit stellte sich der König in die Nachfolge Jesu Christi. Karl der Große hingegen wurde 768 in Noyon zum König und 800 in Rom zum Kaiser gekrönt. Der spannende Rundgang führte weiter in die spätgotische Chorhalle, wo unter anderem Karlsschrein und Marienschrein zu bewundern waren.

Nach diesem Eintauchen in die Geschichte Aachens genoss die Gruppe den freien Nachmittag. Die einen nutzten ihn zum Einkauf der berühmten Aachener Printen, andere entspannten sich in den Carolus-Thermen. Am frühen Abend stand ein besonderes Highlight auf dem Programm. Christiane Schmeken, der Leiterin der Außenstelle des DAAD Paris, war es gelungen, Harald Müller, Professor für mittelalterliche Geschichte an der RWTH Aachen, für einen forschungsgesättigten Vortrag über Aachen und seine Beziehung zu Karl dem Großen zu gewinnen. Man erfuhr, dass Karl ab etwa 794 immer häufiger und auch für längere Perioden nach Aachen kam. In dieser Zeit ließ er ein Ensemble aus bereits vorhandenen Gebäuden zu seiner Residenz, der sogenannten Kaiserpfalz, umbauen. Sein Ziel war, hier ein neues Rom zu errichten. Sakraler Mittelpunkt war die oktogonale Marienkapelle, aus der in der Folge durch diverse Anbauten der heutige Dom wurde. Im Laufe der Jahre gab Karl das Prinzip der ambulanten Herrschaft auf, das auf regelmäßiger Präsenz an verschiedenen Stellen im Reich beruhte. Stattdessen verließ Karl ab 806 seine Pfalz nur noch in Ausnahmefällen. Dass Karl ausgerechnet Aachen auswählte, kann, so Müller, nicht zuletzt an den heißen Quellen gelegen haben, denn Karls Biograph berichtet, dass der Regent warme Bäder liebte. Nach den Teilungen des riesigen Reiches unter die Söhne und Enkel Karls war Aachen statt Mittelpunkt nur noch grenznahe Stadt – und verlor zunehmend an Bedeutung. Harald Müller warnte auch vor allerlei Mystifizierungen. Dass die Marmorplatten an Karls Thron aus Jerusalem stammen, hält er für nicht gesichert, „auch wenn der Dompropst das nicht gerne hört“. Er mahnte zudem, Karl nicht unreflektiert als Musterbeispiel eines europäisch denkenden Politikers zu betrachten, wie es in den Statuten des Karlspreises anklingt. Schließlich habe der Zusammenhalt in Karls Reich im Wesentlichen auf der Gewalt des Schwertes beruht.

Die Gegenwart des europäischen Gedankens, nicht zuletzt auch die damit verbundenen Schwierigkeiten, wurde am dritten Tag der Reise thematisiert. Per Bus ging es ins grenznahe belgische Eupen, wo man das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft besuchte. Wie Flamen und Wallonen beansprucht auch die Deutschsprachige Gemeinschaft innerhalb des belgischen Staatswesens ein gewisses Maß an Autonomie. Vom Präsidenten der „DG“, dem Karl-Heinz Lambertz (Sozialistische Partei), erhielt die Gruppe einen umfassenden Einblick in die Realität dieser besonderen Spielart des Föderalismus. Die Deutschsprachige Gemeinschaft umfasst ein Gebiet im Osten Belgiens und zählt rund 77.000 Einwohner. Ihre Selbstverwaltung umfasst unter anderem die Zuständigkeit für Kultur, Schule, Denkmalschutz, aber auch Beschäftigungspolitik. Für die Zukunft, so Lambertz, strebe man eine weitergehende Autonomie innerhalb Belgiens an. Forderungen nach Abspaltung, wie sie etwa in Katalonien erhoben werden, schloss sich Lambertz nicht an, ließ aber anklingen, dass das föderalistische Miteinander in der aktuellen Konstellation auch kein ehernes Gesetz sei. Mit von der Partie beim Treffen im Parlament: der deutsche Honorarkonsul Yves Noel und seine Frau Dominique Wagner-Noel, die vor fast 40 Jahren mit Nadine Magaud, Präsidentin von DAAD Alumni France, das Juristenprogramm des DAAD in Tübingen absolviert hat. Die beiden versprachen einander, bis zum nächsten Treffen nicht wieder so viel Zeit verstreichen zu lassen. Stadtführungen durch Eupen und Monschau, beides ehemalige Tuchmacherstädte, rundeten den Tag ab. Beide Rundgänge hatte Michael Jansen, Alumnus und ehemaliger Lektor des DAAD, organisiert. Aus Monschau gebürtig, ließ er seine Kontakte spielen und brachte die Gruppe im Café am Roten Haus mit der Bürgermeisterin Margareta Ritter zusammen. Von ihr erfuhr man Interessantes aus ihrer Arbeit, etwa über die Initiativen Monschaus zur freundlichen Aufnahme von Flüchtlingen. Ein anderer Diskussionspunkt: Monschau mit seinem denkmalgeschützten, malerischen Ortskern ist zwar ein touristischer Magnet, aber auch vom Abwandern junger Bürger betroffen. Und der Denkmalschutz bringt nicht nur Segen, sondern auch manche Sorge für die Eigentümer in Gestalt von komplizierten Sanierungsauflagen. Pluspunkte der Stadt Monschau sind ihre konsequente Einbettung in die Städteregion Aachen, etwa durch die Vernetzung mit der FH Aachen, sowie in die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Abschließend machte Margareta Ritter der Gruppe noch ein besonderes Geschenk: sie übernahm flugs die anfallende Rechnung und spendierte zudem „Monschauer Dütsche“, eine knusprige Waffel mit Schlagsahne, und den Monschauer Kräuterschnaps „Els“. Da wird wohl so mancher nach Monschau, das bis 1918 „Montjoie“ hieß, zurückkehren. Voller neuer Eindrücke und Informationen, kehrte die Gruppe am Sonntagabend nach Paris zurück. Einziger Negativpunkt laut Nadine Magaud: Es dürfte schwierig werden, diese Reise noch zu überbieten!

Texte : Mathias Nofze